Traumatisierung und Wertschätzung

Seitdem wir unser letztes Pflegekind verloren haben und ich dazu meiner beruflichen Indentität verlustig gegangen bin, habe ich gelernt, wie Menschen in Depressionen und mit Traumatisierungen sich wirklich fühlen. Ich kenne die Hilflosigkeit und die tiefe Trauer, die man empfindet, wenn man zutiefst verletzt worden ist. Seitdem kann ich den Gemütszustand meiner Pflegekinder erst richtig nachvollziehen, anstatt nur – wenn auch tiefes – Verständnis aufzubringen. Ich weiß, wie sich Depression und Dissoziation tatsächlich anfühlt. Dennoch schätze ich mich glücklich, dass ich nicht schon in meiner Kindheit seelisch verletzt worden bin, so dass es unabsehbare, dauerhafte Folgen gehabt hätte. Mein Rucksack ist relativ klein.

Es gibt viele Menschen mit einem unverschuldet harten Schicksal in der Kindheit, das sie schwer traumatisiert hat. Diese Menschen sind zeit ihres Lebens in ihrer Wahrnehmung und ihrem Verhalten beeinträchtigt. Sie werden nie in der Lage sein, normale, erfüllende Beziehungen zu anderen Menschen zu unterhalten. Immer werden sie skeptisch und misstrauisch bleiben.

Um nicht an ihren Defiziten emotional zu zerbrechen, akzeptieren sie sich selbst so, wie sie sind. Sie müssen auch von anderen so akzeptiert werden. Professionelle Hilfe angeboten zu bekommen, bedeutet für sie, dass sie eben nicht so wahrgenommen und wertgeschätzt werden, mit all ihren Defiziten, wie sie es sich wünschen.

Pflegeeltern stehen in einem Dilemma. Professionelle Hilfe ist dort angesagt, wo Pflegekinder unter ihrer Traumatisierung leiden. Aber ist sie auch da sinnvoll, wo es eigentlich nur darum geht, sie in die Gesellschaft und die Schule zu integrieren? Müssen wir nicht bis zu einem gewissen Grad bereit sein, traumatisierte, emotional geschädigte Menschen zu akzeptieren? So wie ich auch für mich in Anspruch nehme, mit meinen Verletzungen und den daraus resultierenden Veränderungen in meiner Persönlichkeit akzeptiert und wertgeschätzt zu werden?

Zweifel überkommen mich, wenn ich daran denke, dass ich während unserer Pflegschaft meinte zu wissen, was für die Kinder am Besten sei. Vielleicht wäre es einfacher und sinnvoller gewesen, manches einfach zu akzeptieren, wie es ist und sich mehr auf die Kinder einzulassen.

6 Antworten zu Traumatisierung und Wertschätzung

  1. Angelika Enderling schreibt:

    Bitte nicht zweifeln daran, dass professionelle Hilfe nötig ist. Therapie ist nur ein Wort, ein Begriff – jeder versteht darunter etwas anderes – dabei wirkt sie einfach nur als eine Form von sehr achtsamer Zuwendung (möglichst im Spiel). Das entlastet und ermutigt sowohl die PK als auch die PE und schafft Stabilisierung im Alltag. Davon kann es nicht zu viel geben.
    Auch Deine Beiträge sind Therapie – für den, der sie sucht. Sehr herzlichen Dank an Dich und bitte weitermachen.
    Tina

    • Sir Ralph schreibt:

      Danke, Tina, für deine anerkennenden Worte. Mein Blog hilft auch mir selbst, das Gewesene zu verarbeiten. Wir kamen an einen Punkt, wo uns klar wurde, dass gerade die Akzeptanz in der Familie die beste Therapie sein kann. Dasselbe gilt für die Wertschätzung der Person, so, wie sie nun einmal ist.

  2. Doreen Wuest schreibt:

    Guten Abend,
    nur durch Zufall habe ich diesen Blog gefunden und bin sehr froh darüber. Wir sind auch Pflegeeltern. Seit 2 1/2 Jahren haben wir nun Schon unseren drei jährigen Enkelzwerg bei uns. Seit einiger Zeit wird deutlich, wie stark er doch von der kurzen Zeit bei seinen Eltern traumatisiert ist. Nun nehmen wir Kontakt zu einer Kinderpsychiaterin auf. Und ehrlich gesagt, habe ich ein bisschen Angst davor.

    Vielen Dank für diesen Blog! Bitte weiter machen!!! LG aus Berlin!!

    • Sir Ralph schreibt:

      Danke für die Anerkennung, Doreen. Vernachlässigung, Misshandlung und Missbrauch sind die frühkindlichen Erfahrungen, die ziemlich schnell schädigen können. Aber ich glaube, durch eure verwandtschaftliche Bindung habt ihr einen Vorteil. Eine Bindung Eures Enkels an euch sollte sich so schneller aufbauen lassen.

      Alles Gute und viel Kraft aus Blankenfelde bei Berlin!

  3. mia Köcher schreibt:

    Ich bin selbst im alter von 5 Jahren aus meiner Herkunftsfamilie mit Zwischenstopp im heim in eine Pflegefamilie gezogen. Ich habe dort 8 Jahre gelebt und musste dann aufgrund immenser Komplikationen ausziehen. Ich habe sehr lang gebraucht um den erneuten Abbruch zu verkraften. Ich habe lange Zeit mit Wut und Missverständnis gegenüber meiner Pflegeeltern reagiert. Nach einigen extrem Abstürzen und mehreren Therapien kann ich heut mit 23 Jahren viele Dinge begreifen die ich nie begreifen wollte. Das,so wie sie schreiben,Menschen grenzen haben. Das auch meine Pflegeeltern grenzen hatten. Ich habe inzwischen begriffen,dass an der damaligen Situation niemand die schuld trug sondern das mit der Pubertät und der wurzelsuche wahrscheinlich für viele Pflegeeltern und Kinder eine schwere Zeit anbricht.
    Ihre Worte sind oftmals so treffend und ich danke Ihnen dafür,dass sie ihre Gedanken öffenrlich zugänglich machen und mir einen anderen Blickwinkel in diese ganze Sache ermöglichen !
    Ich habe als Kind große Probleme gehabt vertrauen zu fassen und diese als „meine Familie“ anzunehmen. Ich habe lang meiner Herkunftsfamilie nachgetrauert was nur mit Logik nicht nachvollziehbar ist,denn Missbrauch,Misshandlung,körperliche und emotionale vernachlassigung gingen einher mit meinem leben dort. Ich bin inzwischen sehr dankbar,dass ich eine Chance bekommen habe doch noch etwas in diesem leben zu sehen was es lebenswert macht. Und das ich,egal wie wieviele Probleme es auch gab,heute einen Ort habe den ich mit zu Hause, Sicherheit und willkommen sein assoziiere.
    Ich wünsche ihnen nur das beste und bedankte mich nochmal für ihren blog !

    • Stephanie schreibt:

      Mia das hast du toll geschrieben alle Hochachtung !deine Worte berühren mich sehr . Unser (P)Sohn hat Ähnliches erlebt und es gab eine Zeit da fürchtete ich ich muss ihn gehen lassen weil es uns nicht mehr gut ging und wir keine Kraft mehr hatten ihm gerecht zu werden. Aber wir haben es geschafft! Jetzt mit geht er in die Ausbildung und ich bin soo stolz das er den realabscjluss hat !

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